Gast-Blogger Hartmut Haker über das Recovery-Modell

In Schwerin wurde ich 1974 geboren. Nach dem Schulbesuch und einigen Semestern Studium der Rechtswissenschaften erkrankte ich mit 20 Jahren an einer schizo-affektiven Psychose. Mir stand ein jahrelanger Kampf gegen diese Erkrankung bevor. Mit meinen vier Büchern (mittlerweile auch einem Theaterstück) arbeitete ich meine psychische Erkrankung auf. Ich halte Lesungen aus meinen Büchern und möchte damit einen Beitrag zur Aufklärung über psychische Krankheiten und zu deren Entstigmatisierung leisten.

Was hat mir geholfen, dass ich heute ein recht selbstbestimmtes und symptomarmes Leben führen kann? Wie und mit welcher Hilfe habe ich meine Krankheit angenommen? Was gibt mir Kraft und einen Lebenssinn? Das Recovery-Modell ist in aller Munde. Recovery kann mit Wiedergesundung übersetzt werden. Es ist ein Konzept, das das Genesungspotential der Betroffenen hervorhebt und unterstützt. In diesem Modell kann Wiedergesundung als persönlicher Prozess gesehen werden, der Hoffnung, eine
sichere Basis, fördernde zwischenmenschliche Beziehungen, Selbstbestimmung, soziale Integration und Problemlösungskompetenz erfordert und einen Lebenssinn vermittelt. Recovery erfordert Menschen, die an die unterstützte Person glauben und dieser Person beistehen.

Der Autor des Vorwortes zur 2. Auflage meines ersten Buches „Station 23 – Begegnungen in der Psychiatrie“ beschreibt meinen Kampf: „Alles lief ganz gut: Abitur mit 18, Jurastudium in Greifswald: Plötzlich stellt eine akute Psychose das ganze Leben in Frage. Geschlossene Station, gestresste Ärzte, ,durchgeknallte‘ Mitpatienten, hin- und hergeworfen zwischen Hoffnung, Übermut und abgrundtiefer Verzweiflung. Die Ärzte sprechen von Schizophrenie oder von schizo-affektiver Psychose, das klingt genauso schlimm wie ,Krebs‘ oder ,Multiple Sklerose‘. Mehrfach muss Hartmut Haker stationär in der Schweriner Nervenklinik behandelt werden. Zweimal versucht er, seinem Leben ein Ende zu setzen. Aber er gibt nicht auf. Zunehmend gelingt es ihm, Rückschläge
und alle möglichen Beeinträchtigungen zu akzeptieren. Er nimmt teil am Schicksal und am Leiden anderer, er verliert nicht den Blick für das Schöne und sieht auch in dunklen Tagen Zeichen der Hoffnung. Er baut auf andere Menschen, von denen er weiß, dass sie zu ihm stehen werden – was auch immer passieren möge. Er vertraut letztlich auch den Ärzten und nimmt die Medikamente ein, trotz der Nebenwirkungen. Er glaubt an Gott und hofft, dass dieser ihn nicht im Stich lassen wird.”

Menschen, die an mich glauben, halfen mir. Obwohl ich die Möglichkeit hatte, mich berenten zu lassen, bin ich immer wieder aufgestanden und habe weiter gemacht, studiert, den Zivildienst und eine Ausbildung absolviert und arbeitete in meinem Beruf. Meine Sehnsucht nach einem gelingenden Leben trieb mich an. Die Arbeitgeber, bei denen ich arbeitete, sind auf mich eingegangen, versuchten mich mit meinen Einschränkungen einzusetzen. Und auch bei meinem Schreiben wurde ich unterstützt. Diesen helfenden Menschen bin ich sehr dankbar.

Heute lebe ich mit meiner Frau und meinem 18 Monate alten Sohn in Hamburg und arbeite Vollzeit als Bauzeichner in einem Ingenieurbüro für Baustatik. Manche meiner Freunde und Bekannten wundert es, dass ich das mit meiner Vorgeschichte schaffe und auf mich nehme. Meine Energie nehme ich aus meinem Glauben und aus meiner Erfahrung. Wenn ich mal einen schlechten Tag, eine schlechte Phase habe, weiß ich, dass es wieder besser wird und weiß auch, was ich dafür tun muss. Meine Frau und mein Sohn geben mir Kraft.

In einer Pressereaktion auf eine meiner Lesungen lese ich: „Hartmut Haker berichtete von seiner psychischen Krankheit, die gebannt und beherrscht scheint und doch gegenwärtig ist und bleibt. Wie lebt ein stattlicher Mann, der seinen Arbeitsalltag meistert wie jeder andere, mit einer Psychose? Was ist das überhaupt? Er muss viel wissen über die Angreifbarkeit der Seele, einen Lebensplan des Schutzes aufbauen, durchhalten und Rückschläge verkraften. Man darf ohne Vorbehalte den Mut dieses Mannes bewundern und Vertrauen haben. Was Hartmut Haker sagt, klingt authentisch; man glaubt ihm.“

Ein Freund schreibt mir: „Dass Du Dich von Deiner früheren Krankheit wirst frei machen und erlösen können, schien denen, die Dich kennen und begleitet haben, ja nahe zu liegen. Aber dass Du es mit deinen Büchern zu solcher Professionalität der Hilfe für andere bringen wirst, ist sicher ein großes Geschenk.”

Viele Menschen habe ich bei meinen Klinikaufenthalten kennengelernt und jeder hatte seine Art, mit seiner Krankheit umzugehen. Seine Würde zu erhalten. Seinen Lebensschutz zu bewahren. Offen sein, Vertrauen haben, mit sich und seinen Menschen gut umgehen, helfende, verständnisvolle Menschen um sich haben, eine Beschäftigung, die einem Spaß macht, Anerkennung, ein Lebenssinn und damit ein Ziel vor Augen, Liebe und Sicherheit können einen Menschen gesund machen.

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