Das Charakteristikum von Psychose ist ja, dass der/die Betroffene aus der Welt flieht: in eine Wahnwelt, in Ängste oder auch Größenphantasien und euphorische Gefühle. Was er/sie denkt und fühlt, ist nicht mehr bezogen auf das, was andere Menschen denken und fühlen. Er/sie macht sich eine eigene Welt, mit eigenen Ängsten und Hoffnungen, irrealen Bezugspersonen und Erklärungen für den Verlauf des eigenen Lebens, die sonst niemand nachvollziehen kann. Dieses psychische Geschehen hat komplexe Hintergründe, eben auch biographische Ursachen und entfaltet unter schlechten Lebensumständen eine ungehemmte Dynamik.
Dieses psychotische Denken ist aber auch ein Gegenpol zu dem, was heute sehr geläufig ist. Meiner Einschätzung nach sind die wenigsten Menschen wirklich tief berührt durch den Klimawandel oder Krieg am anderen Ende der Welt, dem Schicksal von Flüchtlingen oder anderen traurigen Geschichten. Die meisten Menschen nehmen das nur beiläufig und als ihr eigenes Leben nicht wirklich betreffend war. Höchstens ist es so, dass sie sich in dem, was sie in ihrem Leben erreicht haben, bedroht fühlen durch die Not anderer. Wer eine kleine Eigentumswohnung hat, grenzt sich oft von armen Menschen ab – eben auch aus einer Angst heraus zu verlieren, was er/sie hat.
In der Psychose dagegen sind wir sehr berührbar, leben ebenfalls überwiegend am unteren Rand der Gesellschaft und haben oft starke Reaktionen auf Ereignisse, die die meisten höchstens vorübergehend interessieren. Manche Betroffene sind bis heute extrem aufgewühlt und verstört von den Ereignissen von 9/11 oder dem Tod Michael Jacksons, auf psychiatrischen Stationen kann man über solche Themen viele Gespräche führen. Auch Bücher wie Harry Potter oder bestimmte Musik sprechen zu den Menschen direkt, es scheint ihnen, als ob diese für sie speziell geschrieben worden sind. Andere wiederum fühlen sich zutiefst schuldig an Dingen, an denen sie gar keinen Anteil hatten, politische oder andere Geschehnisse, die jenseits ihrer Einflusssphäre liegen.
Eine Psychose führt schon zu Leid und es handelt sich um ein Krankheitsgeschehen, das nicht idealisiert werden sollte. Aber die Welt wäre eine andere, wenn mehr Menschen sich berühren ließen, sich sogar “mitschuldig” fühlen würden am Schicksal der Welt und anderer Menschen, wenn sie empathisch reagieren würden auf Not, anstatt an die Eigentumswohnung zu denken. Wenn ihre Ängste weniger kleingläubig und egozentriert wären. Eine Psychose zu haben ist ein in keiner Hinsicht erstrebenswerter Zustand. Und dennoch würde ich mir für die Welt mehr Mitmenschlichkeit, Berührbarkeit und Verantwortungsübernahme wünschen. Ich glaube auch, dass Menschen, die versuchen einen kleinen positiven Beitrag in der Welt zu leisten, glücklicher und erfüllter leben als Menschen, die nur ihr eigenes Leben retten wollen.
Und wie sieht es bei Ihnen aus? Lassen Sie sich von der Welt und von Mitmenschen berühren?