Als Erfahrungsexperte anderen helfen

Ich arbeite als Erfahrungsexpertin in der Wohnbetreuung und kann schon manchmal einzelnen Klienten helfen. Manche Klienten wissen sehr wenig, wie die Psychiatrie funktioniert, wie das Hilfesystem funktioniert und was sie tun sollten, wenn sie Hilfe wollen oder auch wenn sie eine bestimmte Hilfe nicht wollen. Da kann ich helfen. Andere können ihre eigene Erkrankung nicht sehen. Manchmal kann ich da helfen, weil ich vorlebe, dass auch mit so einer Erkrankung vieles im Leben sehr gut sein kann. Andere freuen sich über eine ins Freundschaftliche überspielende Betreuungsbeziehung. Andere hören gerne von den Erfahrungen, die ich mit der Erkrankung und Behandlung gemacht habe. Für manche kann ich Fürsprecher sein, jemand, der sie ernst nimmt.

Manchmal kann ich aber auch gar nicht helfen. Wenn jemand etwa aus seiner gegenwärtigen Situation gar keinen Weg mehr nach vorne sieht und voller Wut und Rebellion gegen seine Lebenssituation ist. Manchmal ist dann eine besser verlaufende Erkrankung erst recht ein rotes Tuch. Manchmal verfolgt jemand sehr willensstark destruktive Ziele. Hier zerbrechen alle hilfreichen Bemühungen an dem Eigensinn des Betroffenen. Manchmal werde ich Opfer der Stigmatisierung durch Mitbetroffene. Manchmal schlägt mir auch einfach Desinteresse entgegen oder es harmoniert menschlich nicht.

Wenn man abgelehnt wird oder nicht helfen kann, ist es schwierig, nicht sofort zu einer sehr pessimistischen Prognose zu gelangen. Das ist natürlich ein Fehlschluss. Darum sage ich mir immer wieder: Heilung findet nicht durch eine Betreuungsbeziehung statt. Aber eine Betreuungsbeziehung kann die Tür öffnen zu den heilenden Dingen: gute private Beziehungen oder eine gute Arbeit, ein sinnvolles Engagement, eine wirkliche Perspektive. Ich sage mir immer wieder, dass ich niemanden retten kann. Letztlich kann sich nur jeder selbst retten. Die Psychiatrie versucht oft genug, die Betroffenen gegen ihren Willen zu retten – was natürlich nicht gelingen kann.

Man muss gerade als Erfahrungsexpertin sehr sensibel dafür sein, dass die Klienten sich abhängig fühlen mögen von der Hilfe, dass sie sich ausgeliefert fühlen. Dass sie sich nicht trauen, ihre Wünsche und Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen. Dass sie sich auf unsere gute Laune angewiesen fühlen. Dass sie innerlich gedemütigt sind durch diese Hilfe. Ich muss versuchen, mich selbst immer wieder zu sensibilisieren für das Machtungleichgewicht, dass das eigene Wort mehr gilt als das der Klienten.

Niemals Macht auspielen. Und die Macht, die man trotzdem hat, auch wenn man es nicht will, verantwortungsbewusst und zum Guten einsetzen. – Das sind einige Vorsätze, zu denen ich mich immer wieder ermahne.

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